Sonntag, 26. Mai 2013

Es hat Zeit

Es hat sich wohl jeder schon mal die Frage gestellt, ob Unkraut älter wird? Ich ja - und zwar heute. Schien mir heute doch, die Zeit vergehe wie im Flug und Unkraut bekanntlich nie.

Aber zurück zur Realität, zum Jetzt. Umso mehr, da mir von verschiedenen Lesern ans Herz gelegt wurde so zu schreiben, dass man es auch beim ersten Mal lesen versteht. Um realistisch zu bleiben, ich werde es manchmal versuchen.

Formal wurde ich ja vor einer Woche älter. Mit dem Alter erlaubte ich mir ein bisschen kürzer zu treten und ein paar Tage Urlaub zu nehmen. Das Thema Zeit begleitete meine kleine Reise, weshalb ich gerne etwas dazu sagen würde.
Ich besuchte den Westen Argentiniens, die Provinz San Juan an der argentinisch-chilenischen Grenze. Meine Auszeit ist einfach zusammenzufassen. Dani war von früh Morgens...
Früh Morgens
...bis spät Abends draussen unterwegs.
Spät Abends
Manchmal glitt natürlich der späte Abend in den frühen Morgen und umgekehrt - Fazit: unter freien Himmel blieb ich. Unter diesem besuchte ich wundersame Orte. So steinalt, dass sich ein jeder knapp einminütig fühlt.
Steinepochen
Für jemanden wie mich, der Steine ganz gerne mag, eine Reise wert. Insgesamt ein rundes Ding.
Mehrere dieser runden Dinger
Und so bin ich wieder zurück in der Metropole Buenos Aires. Entspannt und erholt nach einer wunderschönen Zeit.
Entspannung
Ach! Ich wollte ja über die Zeit sprechen! Genau. Verpasst. Dann eben zu einem späteren Zeitpunkt.

Sonntag, 5. Mai 2013

Frage an das Volk

Wertes Volk, mir kommt Eure Bezeichnung nur allzu oft unter die Augen. Erklärt mir, dem Narren, doch bitte wer Ihr seid. 

Man sagt ja bekanntlich, dass die Identitätsprobleme in der Pubertät auftauchen. Anscheinend bin ich ein Spätzünder oder ich komme ins Zweifeln, da mir ans Herzen gelegt wird, nun Argentinier zu sein. Aber um ganz ehrlich zu sein, mag ich schlicht dieses Wort Volk nicht. Deshalb entschuldigt mich bitte bereits jetzt, wertes Volk.
Bist du es Volk?
Womöglich gehöre ich jetzt schon nicht mehr dazu, ich meine zum Volk. Dem Duden sei gedankt, definiert er das Volk als eine durch gemeinsame Kultur und Geschichte [und Sprache] verbundene große Gemeinschaft von Menschen. Meine Geschichte reicht ja gerade mal knappe dreissig Jahre zurück, von Sprachen möchte ich lieber gar nicht sprechen, hier in Argentinien versteht man mich manchmal, Leute aus Deutschland loben mich, dass ich ganz gut deutsch spreche und bekanntlich zählt das Schweizerdeutsch ja nicht mal als Sprache. Was bleibt da noch? Okay, die gemeinsame Kultur, erneuter Dank an Herrn Duden, die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft. Das Volk kann da ja höchstens als geistige Leistung bezeichnet werden, zumindest steckt grosse geistige Vorstellungskraft dahinter. Und jetzt mache ich nicht mal bei dieser Leistung mit. Mein Fazit, ich gehöre nicht zum Volk dazu.
Aber irgendwo bin ich doch auch mit dabei, zumindest bei einer Gemeinschaft (rein mathematisch sicherlich). Vielleicht hilft mir die Sprache weiter. Wenn es auch keine gemeinsame gibt, so haben sie immerhin Gemeinsamkeiten. Übersetze ich das Wort Volk in die Sprachen, die mir geläufig sind, finde ich eine Parallele, die Nation. Also gehöre ich zu einer Nation! Wieso nicht, habe ich mir doch erst kürzlich eine neue Nationalität zu getan. Wie es englisch so schön heisst, habe ich mich naturalisiert. So gehöre ich nun zum argentinischen Volk. Meinen roten Pass habe ich aber auch noch hier. Hmm? zuerst habe gar kein Volk und jetzt plötzlich zwei. Ist denn dieses leidliche Volk etwa die Zugehörigkeit zu einem Staat? dem Schweizerischen oder Argentinischen?
Volk?
Aber das mit dieser Nation ist ja doppelt so verwirrend als das Volk! Hier danke ich dem lieben Benedict Anderson (wir bilden quasi ein Volk oder Nation, da ich zumindest seine geistige Leistung teile). Er spricht von der Nation als kümmerliche Vorstellung, die wohl nicht länger als 200 Jahre existiert. Die Nation ist dabei die vorgestellte Gemeinschaft (mit den genannten Attributen) in einem Territorium, wo wir schon nahe zum Nationalstaat kommen. Aber bitte, liebes Volk, kennt ihr wirklich alle Mitglieder in Eurer Nation, ich zumindest nicht. Woher soll ich da wissen, welche geistigen oder künstlerischen Leistungen ich mit den anderen teile? Ganz zu schweigen von der Sprache, in meinem Volk Nummer 1, wie auch in Nation Nummer 2, weiss ich nur zu gut von sprachlichen Unterschieden. Von kulturellen oder geschichtlichen Gemeinsamkeiten einer Nation zu sprechen, werde ich mich hüten. Vielleicht von meinem nächsten Umfeld würde ich eine Aussage wagen. Alles was darüber hinausgeht ist doch verkappte ethnische Vorstellung einer Nation. Als hätte ich eine nationale Identität mit tausenden von Menschen die ich nicht kenne. Ich besitze lediglich meine kleine subjektive Vorstellung von Werten und Einstellungen. Würde ich diese über ein ganzes Land stülpen, fänden allzu viele Menschen keinen Platz im meinem vorgestellten Volk. Und da kämen wir ganz schnell zum populistischen Weltbild, wo es die richtigen und falschen Bürgern gibt. Und der Feind allzu schnell bei den "Anderen" zu finden ist.
Was bleibt? Na ja, schauen wir die Geschichte mal an, gemeinsame oder nicht. Wir leben in einer Welt, die von stetiger Migration geprägt ist, weit über meine knappen dreissig Jahren und ebenso dem Alter des Nationalstaates hinaus. Sei es im kleinen von der Langstrasse Nr. 12 zur Nummer 143 oder auch weit, zum Beispiel über die Ozeane nach Südamerika oder die Fidschiinseln. Bewegt, entwickelt haben sich alle, wo wir momentan leben entspricht eher einem Zufall. Und so bevölkern wir fröhlich die Welt. Von Nation bleibt da wenig, nur, dass wir uns stets in einem nationalen Territorium befinden. Wer dort lebt würde ich dann doch weit lieber als Bewohner oder meinetwegen Bevölkerung bezeichnen. Quasi ein bürgerlicher Nationalismus, da man unter einem politischen System lebt (das kennt immerhin jeder), das den Zivilbürgern Rechte und Pflichten aufgibt, mit etwas Glück durften die Bürger sogar bestimmen was für Regeln herrschen (wo wir bald zur Frage der Stimmberechtigung von nicht naturalisierten, also Ausländer, sprich Immigranten kommen, aber dazu vielleicht später Freunde der Demokratie). Oder doch - sprechen wir darüber. Wo wir hier über Gemeinschaft diskutieren. Wenn wir schon Gemeinsamkeiten suchen, dann bitte konsequent. Da lebt jeder von uns, wertes Volk, in selbst erdachten Staatsgrenzen. Wieso sollen die Rechte vor Grenzen und Nationalitäten Halt machen. Was sind schon Volksrechte, wenn es das Volk nicht gibt? Lassen wir das Volk und die vergebliche Suche danach. Liegt es nicht näher an das Konzept Mensch zu glauben und auf Menschenrechte zu setzen? Denn wir wissen ja nie, auf welcher Seite von welcher Grenzer wir morgen aufwachen werden. 
Unauffindbar

Mittwoch, 1. Mai 2013

Nachwort Staatsstreiche

D.N.I. und Besitzer
Ich besitzt heute eine D.N.I., bis er jedoch letztendlich die Karte in den Händen halten konnte, verstrichen noch viele Tage. Aus persönlichen Gründen möchte Ich auf die genaue Erläuterung verzichten. Soviel sei gesagt, eines Samstages lauerte er den Postbeamten auf und besetzte schliesslich die Poststelle. Der Autor möchte sich an dieser Stelle für sein Verhalten entschuldigen und hofft auf Verständnis.
Heute ist Ich stolzer Argentino, er hat eine Sozialversicherungsnummer, ist beim Finanzamt registriert und hat sogar ein Lohnkonto. Sogar mit Lohn. Was ihm bis jetzt leider noch fehlt, ist die Bankkarte zu seinem Konto. Davon aber später...

Staatsstreiche II

Zweiter Akt. Pazifische Sommerzeit, der Himmel ist trotzdem dunkel. Ich steht vor dem Ministerium für die Registrierung von Personen, genannt Einwohneramt. Einwohner ist Ich noch nicht. Er tritt schüchtern auf den Eingang zu.

Einwohneramt: Einlasskontrolle:
Wachmann (leicht gestresst): "Turno, Termin? Wo hast du deinen Termin?"

Ich (routiniert): "Hab keinen, mein letzter ist von heute Morgen"

Wachmann: "Ach du, der Schweizer schon wieder, hab dich zuerst nicht erkannt, geh nur rein!"

Ich: Hat den Wachmann erkannt. Trottet weiter. Erkennt beängstigt, dass sich die ganze Belegschaft seit dem Morgen ausgetauscht hat.

Neue weniger nette Dame: "Was brauchst du, wo ist deine Nummer?"

Ich: "Ähm, ich war heute schon mal hier, mir fehlte aber die Zertifizierung, ähh nein, die Beglaubigung, aber die musste ich dann auch... "

Doch ganz nette Dame unterbricht Ich.

Doch ganz nette Dame: "Hab davon gehört geh weiter zur Überprüfung deiner Dokumente, Schalter 2 der kann auch englisch"

Englisch sprechender Beamter: "Cool! Du wirst Argentinier, cool und das als Schweizer, wieso das denn?!"

Ich: "Ja cool..."

Ich und der englisch sprechende Beamte mögen beide das Wort cool, darauf beschränkt sich dann auch die englische Konversation und Ich erzählt ihm seine Leidensgeschichte, er ist auf Mitleidsuche.

Typ vom Schalter 3: "Das tut mir leid. Wärest du doch schon vorher am Nachmittag gekommen, dann sind alle alten Beamte vom Morgen weg und wir jüngeren übernehmen das Ruder. Alles ganz locker, ganz locker. Komm ich nehme deine Personalien auf!"

Ich (glücklich zweifelnd): "Cool, hier all meine Dokumente."

Mädchen vom Schalter 4 schielt rüber. Typ von Schalter 3 nimmt alle Daten auf.

Mädchen vom Schalter 4: "Du bist doch schon mal hier gewesen? Haste jetzt alles, super, komm geh zahlen und ich geh kurz zum Chef für die Unterschrift."

Ich schwebt beflügelt zum dritten Posten - Kasse - zahlt 35 Peso und auf seiner linken Backe lässt sich ein Lächeln erkennen. Mädchen vom Schalter 4 kommt angerannt. Lächeln zieht sich zurück.

Mädchen vom Schalter 4 (auf die Dokumente guckend): "Dani, die Chefin will noch kurz mit dir sprechen und hier ist noch die "Acta de opción por la nacionalidad" musst du unterschreiben."

Ich sieht die Chefin herbeieilen und bemerkt, dass nicht die ganze Belegschaft am Mittag wechselt und unterschreibt rasch auf dem Boden das Dokument. Die ehemals grimmige anschliessend nette und wie sich herausstellt erneut grimmige Chefin stellt sich vor Ich auf.

Grimmige Chefin: "Hola Dani, hast du ja alles ganz gut gemacht aber warum ist die zertifizierte Übersetzung, die du beglaubigen lassen hast nicht an das originale Familienbüchlein geheftet? Das geht so nicht!"

Ich ist im ersten Moment erstaunt, wie simpel sich seine letzten Stunden anhören. Ist dennoch perplex.

Ich: "..."*

Ich bemerkt, dass das Ministerium ein sehr schönes Gebäude ist... un

Ich: "..."*

...und erst die Decke, eine architektonische Meisterleistung.

Grimmige Chefin (wird lieb): "Ach Junge, du siehst fertig aus.  Schau ich versteh dich, aber nicht was du sagst. Geh weiter zum nächsten Schalter und lasst die Dokumente scannen und deine Fingerabdrücke nehmen. Das lässt sich auch so regeln. Anna bring ihn doch gleich zum Schalter."

Ich folgt gefügig dem Mädchen vom Schalter 4, genannt Anna, zum Schalter.

Anna (zur Beamtin am Schalter): "He, Flor hier ist Dani, mach ihm doch eine D.N.I. Er ist Schweizer."

Flor: "Na dann los, ich brauch all deine Dokumente zum Scannen. Dann die Fingerabdrücke, Foto und eine Unterschrift. Geht ganz schnell."

Ich gibt Dokumente, Finger, Autogramm und ein unwirkliches Lächeln für die Kamera. Es geht schnell.

Flor: "So Dani, jetzt noch ein paar Tage warten und du bist einer von uns, Argentino! Gratuliere! Ruf übermorgen an und wir können dir wohl schon vorerst deine D.N.I.-Nummer durchgeben. Gut Glück, chao!"

Ich ab.

Vorhang.
---------------------------------------------------------


Übermorgen, pazifische Sommerzeit. Die Sonne scheint. Ich sitzt im Büro und hadert vor den Tasten des Telefons. Er wählt die Nummer, kennt er bereits auswendig wie auch das Prozedere. "Wollen Sie den Status Ihrer Bearbeitung erfahren? Drücken Sie die Eins", Ich drückt die Eins. "Bitte geben Sie ihre D.N.I.-Nummer ein und bestätigen Sie mit der Rautetaste", Ich gibt irgendwas ein, er hat ja keine Nummer. Die sympathische Telefonstimme wiederholt die Nummer und fragt: "Ist die Nummer korrekt? Dann drücken sie die Eins". Ich drückt die Eins. "Für Ihre Anfrage müssen wir Sie mit einem Mitarbeiter verbinden, bitte warten Sie". Ich wartet, es läuft schöne Musik, allmählich kann er neben der Nummer auch den Song auswendig. "Knock-knock-knockin' on...", es knackt in der Leitung "Hola, wie kann ich Ihnen helfen?". Ich erklärt sein Anliegen und erhält eine unverständliche Antwort. Irgendwas stimme da nicht, storniert, Prozess nicht weitergeleitet. Ich versteht nur spanisch.

Zweiter Versuch mit Unterstützung eines Arbeitskollegen erbringt das gleiche Resultat. Ich ist stolz, er versteht mehr spanisch als ihm lieb ist. 
Ich verzweifelt, irgendein Dokument fehlt.


Einwohneramt: Einlasskontrolle (30 Minuten später):
Wachmann: "Ach schon wieder da, weisst ja wie du reinkommst."

Ich tritt ein zielstrebig den Schalter anstrebend. 

Typ vom Schalter 3: "Hey, schon wieder da, wie geht's?"

Typ vom Schalter 3 gibt Ich Küsschen, Ich gibt Typ vom Schalter 3 Küsschen, wie es sich in Argentinien für altbekannte gehört. Da kommt Mädchen vom Schalter 4, nun vom Schalter 6, vorbei.

Mädchen vom Schalter 4: "Hola, wieder hier?"

Ich gibt Küsschen.

Grimmige Chefin: "Ja ja, da hat was nicht geklappt, wo hast du denn deine "acta de opción por la nacionalidad" die wurde nicht gescannt, die hättest du unterschreiben müssen und ab in den Scanner!"

Ich gibt kein Küsschen und hält seine Acta hin, unterschrieben, doch wollte sie vor zwei Tagen niemand haben.

Grimmige Chefin: "Na dann, ab zu Flor, weisst ja wo sie sitzt. Zahlen musst du nicht noch einmal, ist schon okay."

Nicht wirklich dankbar schlendert Ich zu Flor.

Flor: "Hola, also das ganze nochmal?"

Ich bestätigt, gibt Küsschen.

Zehn Minuten später ist Ich zum zweiten Mal Argentinier geworden. Er dankt, verteilt Küsschen und verlässt das Ministerium. Sich selbst wünscht er Glück...

Ich ab.

Vorhang
------------------------------------------------

*Der Autor kann und will sich bei reinstem Gewissen nicht mehr an den genauen Wortlaut von Ich erinnern.